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80 Jahre nach Kriegsende: Forschung des DZPG untersucht Traumafolgen auch für Nachkommen

Prof. Dr. Dr. Elisabeth Binder, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München  © Benno Pütz / MPI für Psychiatrie
Prof. Dr. Dr. Elisabeth Binder, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München © Benno Pütz / MPI für Psychiatrie
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Der Zweite Weltkrieg hinterließ nicht nur Millionen
Tote, sondern auch gravierende psychische Spuren bei den Überlebenden. Am
härtesten traf dies jüdische Menschen, die der Shoa entkommen waren und
die zahlreichen weiteren Opfer der Deutschen.

Viele Menschen wurden durch
Tod, Vertreibung und Gewalterfahrungen traumatisiert. Achtzig Jahre später
belegen zwei aktuelle Forschungsprojekte des Deutschen Zentrums für
Psychische Gesundheit (DZPG), wie die Folgen psychischer Traumatisierung
bei nachfolgenden Generationen wirken können.

Eindrücklich dokumentiert ist das bei Nachkommen von Holocaust-
Überlebenden. Doch auch Kinder und Enkel der Tätergeneration, Menschen mit
Unrechtserfahrungen aus der DDR sowie Geflüchtete aus aktuellen Kriegs-
und Krisengebieten sind betroffen. Sie alle eint: Die psychischen und
biologischen Folgen extremer Belastungen lassen sich nicht immer auf eine
Generation begrenzen, denn sie können Spuren in familiären Beziehungen und
sogar im Erbgut hinterlassen.

Wie kommen Spuren von Traumata ins Erbgut?

Prof. Dr. Dr. Elisabeth Binder, seit 2013 Direktorin und
Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in
München, untersucht wie sich extreme Belastungen wie Krieg oder Verfolgung
biologisch „einschreiben“. Forschung zeigt: Die Stresshormonachse von
Kindern traumatisierter Eltern – etwa von Holocaust-Überlebenden – ist
nachweislich verändert. Binders Forschung fokussiert auf die
epigenetischen Mechanismen, die solche Veränderungen erlauben. „Wir sehen
Veränderungen in der epigenetischen Regulation von Genen, die für die
Stressverarbeitung wichtig sind“, erklärt Binder. Ein Beispiel ist das Gen
FKBP5: In Kooperation mit der renommierten Trauma-Forscherin Rachel Yehuda
konnte Binder hier Unterschiede in der Gen-Methylierung Kindern von
Holocaust-Überlebenden nachweisen. Diese biologischen Veränderungen
beeinflussen die Stressresilienz möglicherweise über mehrere Generationen.

In einem DZPG-Projekt untersucht Binder mit Kollegen mittels Biomarkern
und Modellsystemen, wie das Risiko für psychische Erkrankungen über
Generationen weitergegeben werden kann. Vorgeburtliche Stressbelastung
konnte Binder auch in Nabelschnurblut nachweisen – durch epigenetische
Marker, die mit mütterlicher Depression und Angst in der Schwangerschaft
und auch mit der späteren Inanspruchnahme medizinischer und
psychologischer Hilfe durch die Kinder korrelieren. In sogenannten
„Hirnorganoiden“, winzigen Gehirnmodellen aus Stammzellen, ließ sich zudem
beobachten, dass vorgeburtliche Stresshormone die neuronale Entwicklung
beeinflussen kann. Das Ziel der Forschung: Frühe Indikatoren zu
identifizieren und präventiv eingreifen zu können.

Weitergabe durch gestörte Interaktionen

Auch auf der psychologischen Ebene zeigt sich, dass Traumata nachwirken
können. Hanna Christiansen, Professorin für Klinische Kinder- und
Jugendpsychologie an der Philipps-Universität Marburg, untersucht in einem
Projekt am DZPG-Standort Bochum-Marburg, wie psychische Erkrankungen in
Familien durch gestörte Interaktionen und belastende Lebensbedingungen
weitergegeben werden. Ihre Forschung zeigt: Kinder psychisch erkrankter
Eltern entwickeln mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit selbst
psychische Auffälligkeiten. Oft sind es feine, alltägliche Mechanismen –
mangelnde Responsivität, fehlende Struktur oder überfordernde emotionale
Zustände –, die sich auf das kindliche Erleben und letztlich die
psychische Gesundheit auswirken.

Forschung zeigt: Der Umgang mit Traumata ist auch heute eine wichtige
Aufgabe

DZPG-Sprecher Prof. Peter Falkai ordnet die Forschung ein: „Beide Studien
machen deutlich: Transgenerationale Traumaweitergabe ist kein abstraktes
Phänomen, sondern eine vielschichtige Antwort des Individuums auf
molekularer und psychischer Ebene.“ Sprecherin Prof. Silvia Schneider
ergänzt: „Sie betrifft nicht nur Opfer des Nationalsozialismus, sondern
zum Beispiel auch Menschen mit Unrechtserfahrungen in der DDR, Geflüchtete
etwa aus Syrien, Afghanistan oder der Ukraine sowie nicht zuletzt Kinder
in Deutschland, die mit psychisch kranken Eltern aufwachsen.“

Über das DZPG

Seit Mai 2023 arbeiten im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit
(DZPG) Expertinnen und Experten daran, durch gemeinsame Forschung die
psychische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und psychische
Erkrankungen zu entstigmatisieren. An sechs Standorten in Deutschland
wirken hierfür Forscherinnen und Kliniker gemeinsam mit Expertinnen aus
Erfahrung, also Betroffenen und ihnen Nahestehenden, sowie internationalen
Wissenschaftlern zusammen. Unter www.dzpg.org finden Interessierte
Informationen zur Organisation, zu Forschungsprojekten und Zielen sowie
informative Texte und hilfreiche Links rund um das Thema psychische
Gesundheit.

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